MICHAELA ZIMMER // PACE
FEBRUAR 2019
Die abendländische Geistesgeschichte wird getragen vom Dualismus zwischen Körper und Geist. In diesem auseinanderstrebenden Kraftfeld arbeitet Michaela Zimmer konsequent daran die Dichotomie der dadurch gegebenen Möglichkeitsräume aufzulösen, indem sie die somatischen – quasi natürlichen – Anlagen des menschlichen Körpers als Bedingung für Kunst ins Zentrum ihrer Arbeit rückt. (...) Methodisch ergibt sich daraus automatisch ein oszillierendes Zusammenspiel von malerischer Intention und Bildelementen, die Zimmers individueller Propriozeption entspringen.
(...) Medizinisch beschreibt Tiefensensibilität, oder propriozeptive Wahrnehmung, die Sinnesaufnahme von Reizen aus unserem Inneren. Muskeln, Gelenke und Sehnen geben dem Gehirn regelmäßig Informationen über die Lage des Körpers im Raum, die Richtung einer ausgeführten Bewegung und den Widerstand, der auf den Körper wirkt. Zimmer macht diesen Prozess fruchtbar für eine Verfeinerung der visuellen und viszeralen Wirkung und nutzt dafür die dem Körper eingeschriebenen Handlungsformen.
(...) Ideengeschichtlich befinden wir uns hier dicht an Maurice Merleau-Pontys drittem Weg im Reich der Phänomenologie, der den tatsächlichen Körper als entscheidend für Wahrnehmen, Begreifen und Wiedergeben versteht. (...) Vor allem die Geschichtswissenschaften begreifen die Erforschung dieser Form des Gedächtnisses als Revision des Kulturbegriffs, sozusagen die Auferstehung der verschwundenen Körper der Aufklärung. Hinsichtlich des Bewegungsapparats ist eine gewisse Fokussierung auf die Geste und damit auf die Hand als Erkenntnisorgan zu beobachten, die ganz direkt mit der Sprachentwicklung im Zusammenhang gebracht wird. Aufschlussreich sind Befunde aus dem Bereich Musik, die sich teilweise auf die bildenden Kunst übertragen lassen. Der Komponist Györgi Ligeti beispielsweise beschreibt ausführlich die Rückkoppelungsschleifen zwischen seinen tonalen Vorstellungen und der Motorik seiner Finger auf der Mechanik der Klaviertastatur, die, angereichert durch neue Ideenskizzen, in jeweiliger Beeinflussung den Kompositionsprozess mehrfach durchlaufen.
Auszug aus Susanne Prinz, 2019
http://michaela-zimmer.de/de/texte/
The intellectual history of western culture is based on a dualism between body and mind. Michaela Zimmer strives consistently to resolve the dichotomy of optional territory that emerges from these fields of diverging forces by focusing on the somatic – quasi natural – disposition of the human body as a condition of art. (...) Methodically, this automatically results in an oscillating interplay of painterly intention and pictorial elements that derive from Zimmer's individual proprioception.
(...) In medical terms, depth sensitivity, or proprioceptive perception, describes the sensory absorption of stimuli from within. Muscles, joints and tendons regularly give the brain information about the position of the body in space, the direction of an executed movement and the resistance that acts on the body. The aim here is to refine the visual and visceral impact based on forms of action inscribed in the body.
(...) In terms of intellectual history, we are close to Maurice Merleau-Ponty's third path in the realm of phenomenology, which understands the actual body as decisive for perception, comprehension and reproduction. (...) Especially the historical sciences understand the exploration of this form of memory as a revision of the concept of culture, so to speak the resurrection of the disappeared bodies of the Age of Enlightenment. With regard to the musculoskeletal system, a certain focus can be observed on the gesture and thus on the hand as an organ of knowledge, which is directly related to the development of language. Findings from the field of music are revealing, some of which can be transferred to the visual arts. The composer Györgi Ligeti, for example, describes in detail the feedback loops between his tonal ideas and the motor activity of his fingers on the piano keyboard mechanism, which, enriched by new sketches of ideas, run through the composition process several times in
each case.
excerpt Susanne Prinz 2019
http://michaela-zimmer.de/de/texte/